Wenn der Verstand sich für den Chef hält
Stell dir vor, dein Verstand sitzt in einem prunkvollen Sessel, trägt eine imaginäre Krone und ruft: „Ich bin der Wichtigste hier!“ Für ihn ist der Tod der schlimmste Feind – ein rotes „Game over“-Schild am Ende des Lebensweges. Alles aus, Vorhang zu. Deshalb verdrängt er das Thema am liebsten ganz tief ins Unterbewusstsein, zwischen „Steuererklärung 2007“ und „Vorsatz, mehr Sport zu treiben“.
Für unseren Verstand ist Bewusstsein nur ein Nebenjob des Gehirns, nicht der wahre Boss. Er ist das Ego im schicken Anzug, das gerne bestimmt, was wir wollen, brauchen und unbedingt besitzen müssen. Statusobjekte sind für ihn wie bunte Orden auf einer Uniform – Beweise für Bedeutung. Für viele, die strikt verstandesorientiert durchs Leben gehen, gibt es nach dem Tod kein „Level 2“. Der Vorhang fällt und fertig.
Das ist das Erbe einer Wissenschaftsepoche, die über hundert Jahre lang die Seele aus den Formeln gestrichen hat. Eine „Wissenschaft ohne Seele“ erkennt nur das, was man wiegen, messen oder zählen kann.
Warum der Verstand hortet wie ein Eichhörnchen
Der Verstand lebt in der Vergangenheit und liebt die Sicherheit von Vorräten – damals überlebenswichtig, heute oft Ballast. Sein Motto: „Man weiß ja nie.“ Leider hinterlässt dieser Sammeltrieb inzwischen Müllberge und einen ordentlichen ökologischen Fußabdruck.
Besitz ist für ihn ein Belohnungssystem: Arbeiten, etwas kaufen, vorzeigen. Ein menschlicher Pavlov’scher Reflex. Viele Dinge kaufen wir nicht, weil wir sie wirklich brauchen, sondern weil wir mithalten wollen – oder weil der Nachbar eben auch eins hat.
Der Philosoph Jiddu Krishnamurti erinnerte daran, dass wahres Glück nicht in Macht oder Dingen liegt. Wer liebt, braucht keine Statussymbole als Krücke für das Selbstwertgefühl.
Natürlich ist es individuell, wie viel Besitz jemand braucht. Manche wohnen auf 200 Quadratmetern mit Sauna, andere leben bewusst minimalistisch mit 100 Gegenständen auf 16 Quadratmetern und investieren ihre Zeit lieber in gemeinsame Aktivitäten. Problematisch wird es, wenn das „Mehr-haben-Wollen“ zur Endlosschleife wird: kurzes Hochgefühl beim Kauf, dann wieder Leere – und das Spiel beginnt von vorn.
Dabei könnte der schönste Lohn für unsere Arbeit etwas ganz anderes sein: Erlebnisse, Nähe, gute Gespräche, Momente, die wir immer wieder in Gedanken besuchen können. Dinge verlieren, Erinnerungen bleiben.
Gemeinsam statt gegeneinander
„Hebe die Gemeinsamkeiten hervor und bringe Herz sowie Verstand in Einklang! Schon das bewusste Leben ist ein kleiner Schritt, der eine große Wirkung auf die Umwelt hat. Jeder Tag führt dich einen Schritt weiter zur Sinnhaftigkeit deines Lebens!“
Doch unsere Gesellschaft läuft oft in die entgegengesetzte Richtung. Das neue Motto lautet: „Immer mehr, immer neuer, immer auffälliger.“
Trendforscher Peter Wippermann beschreibt den Wandel so: Früher definierte der Status, was man brauchte, um sich darzustellen. Heute geht es darum, sich aus der Masse hervorzuheben – durch Besitz oder durch Inszenierung. Nicht mehr der Maßanzug beeindruckt, sondern das Besondere, das Extravagante.
Werbung befeuert diese Spirale, Arbeit wird immer fremdbestimmter, soziale Werte geraten ins Abseits. Viele klammern sich an ihren gewohnten Lebensstandard und wollen nichts abgeben. Veränderung? Lieber nicht – könnte unbequem werden.
Am Ende kreisen unsere Gedanken immer häufiger um Geld, Konsum und das nächste „must-have“. Wir leisten mehr, um mehr zu kaufen, und merken kaum, dass wir uns dabei selbst aus dem Blick verlieren.
Vielleicht ist es Zeit, den Chef im Kopf öfter mal in den Urlaub zu schicken – damit Herz und Seele auch etwas zu sagen haben. Denn die schönsten Geschichten schreibt nicht das Konto, sondern das Leben selbst.
Weiterlesen: Unterschiede zwischen fremd- und selbstbestimmtem Leben
Manchmal merken wir gar nicht, wie sehr unser Alltag von Erwartungen, Regeln und ungeschriebenen Gesetzen geprägt ist. Wir funktionieren, passen uns an – und verlieren dabei Stück für Stück den Kontakt zu dem, was wir wirklich wollen. Ein selbstbestimmtes Leben bedeutet, die Richtung wieder selbst in die Hand zu nehmen, Entscheidungen bewusst zu treffen und den eigenen Werten zu folgen.
Im verlinkten Beitrag erfährst du, wie sich Fremdbestimmung und Selbstbestimmung im Alltag bemerkbar machen, welche feinen Unterschiede oft übersehen werden und wie du Schritt für Schritt mehr innere Freiheit gewinnst. Es geht um Mut, Klarheit und die Kunst, nicht nur zu reagieren, sondern aktiv zu gestalten.
➡️ Zum Artikel Unterschiede zwischen fremd- und selbstbestimmtem Leben